Eine Geschichte zum Anhören.
Und zum Mitlesen:
Wir haben hier in der Oase in M’hamid ein uraltes Bewässerungssystem. Das läuft über ein Netz aus Kanälen, die die einzelnen Palmen-Parzellen versorgen. Ich bin seit über zwanzig Jahren der Wassermeister hier in der Kasbah. Ich wurde ernannt und derzeit wird meine Nachfolge vorbereitet – man muss sehr zuverlässig, gerecht und integer sein. Seit dem Staudamm-Bau Anfang der 70er hat sich hier alles verändert. Seit Jahrzenten gibt es immer weniger Wasser, und immer weniger kommt bei uns an. Uns wird Bescheid gegeben, wann das Wasser kommt. Es läuft durch viele Städte und Oasen, bevor es hier bei uns ankommt, kurz vor der großen Sahara. Wenn es hier ist, gibt es für die einzelnen Menschen und ihre Parzellen eine bestimmte Anzahl an Stunden. Sechs Stunden Wasser für meinen Nachbarn, zum Beispiel. Das Wasser läuft über unsere kleinen Kanäle. Sie sind aus Erde und Lehm gebaut, manchmal brechen sie – und damit man dann so wenig Wasser wie möglich verliert, muss man schnell handeln … der Sohn etwa legt sich dann hin und sein Körper leitet das Wasser von der Bruchstelle ab, und hinter ihm wird der Kanal wieder aufgebaut mit Lehm.
Das Wasser ist unser Fest. Wir sitzen die ganze Nacht an unseren Kanälen und bewachen sie, damit uns niemand das Wasser abzwackt und umleitet. Dabei brennen Feuer und wir singen .Von einem Kanal zum anderen rufen wir uns spontane Zeilen zu. Aus der Nacht gibt es viele Geschichten. Manch einer hat sich schon als Ungeheuer verkleidet, mit großen Palmwedeln hinter den Ohren und fürchterlichem Gezeter, um sich Wasser abzuzwacken. Steht dann gerade ein besonders ängstliches Gemüt Wache, sucht die Person vor Schreck das Weite und dann wird das eine Wassertor geschlossen, und das andere geöffnet… Aber das ist natürlich nicht richtig. Wenn das bekannt wird, dann gibt es Entschädigungen. Wasser hier in der Oase, wie überall, bedeutet Leben.
