Ich stand bis zum Bauch im Wasser

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Und zum Mitlesen:

Wir sind direkt zu Naumanns Schuppen, um zu schauen, wo das Wasser steht. Unsere Familien waren schon vor offizieller Evakuierung weggefahren, zu Freunden. Das Haus haben wir vorher noch auf Hochwasser vorbereitet. Wir beide sind geblieben, für das Jugendrotkreuz. Haben den Fernseher hochgetragen und dann immer beieinander geschlafen, um nicht alleine zu sein. Dass wir uns hatten, die das Gleiche erleben und sich darüber austauschen können, das war für die Seele schon unglaublich entlastend. Einfach auch mal zu weinen. Dann wurde Aken evakuiert und wir haben in den Notunterkünften zwischen ganz vielen anderen Menschen geschlafen. Für meinen Vater und bestimmt auch andere war es hart, den normalen Alltag weiter zu leben. Zur Arbeit zu fahren, weiterzumachen bei all der Ungewissheit. Das hat sicher viele belastet. Als der Elbe-Saale Winkel gebrochen ist, waren sämtliche Wege aus der Stadt abgeschnitten. Der einzige Weg raus war nach Köthen. Wir haben dann immer Runden gedreht und auch bei Freunden aus der Umgebung gecheckt, wie es dort aussieht.                                                                                                                    

Im Rathaus gab es einen großen Stadtplan – rote Straßen hieß: die Straße steht unter Wasser. Einmal habe ich auf den Plan auf eine Straße getippt und gesagt:“ Da war ich eben, da kann man nicht langfahren. Es kommt aus den Gullis.“. Und dann war die Straße rot. 

Irgendwann durfte man zu Fuß wieder in die Stadt laufen. Beim Reinlaufen bin ich schon bis zum Bauch im Wasser gewesen. Das waren so Feldwege. Es war Sommer, wir sind dann barfuß dadurch gelaufen. Auf dem Weg hat man sich gefragt: Was erwartet mich noch? Unser Haus ist zum Glück unversehrt geblieben. Unser Garten war komplett geflutet. Wir hatten einen wunderschönen Teich mit Kois. Und dann habe ich als Erstes die Kois gesucht und sie drei Gärten weiter rumschwimmend gefunden und versucht, die wieder im Ursprungsteich zusammen zu sammeln. Ich weiß nicht, was da in mir vorgegangen ist. Da hängen Erinnerungen dran. Daran zu denken, wie dein Haus und alles, was du kennst, durch das Wasser auf einmal so verändert ist, das ist immer noch ein beklemmender Gedanke. 

Seitdem sind jetzt zehn Jahre vergangen. Man beginnt ein bisschen zu rechnen. 2002 war das letzte Hochwasser vor 2013. Wann wird wohl das nächste sein? Man fragt sich, was die eigene Position dann sein wird, und welche Verantwortung man jetzt schon trägt. Und trotzdem stehe ich manchmal an der Elbe und sage: „Hey, ich kann dich verstehen, als Fluss“. Der Mensch baut, begradigt und zerstört natürliche Ursprünge. Es liegt in der Natur, dass es Hochwasser gibt und geben wird. 

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